Karies entfernen - ja, aber selektiv!
Prof. Dr. Kunzelmann über die selektive Kariestherapie
Prof. Karl-Heinz Kunzelmann, KUM München, stellt im Video das selektive Exkavieren gleich einleitend auf ein wissenschaftliches Fundament. Die Fachgesellschaften IADR, AADR (2016), die DGZ (2017) sowie die ESE (2019) betrachten in ihren aktuellen Stellungnahmen die vollständige Entfernung von pulpanaher Karies als Übertherapie. In seinem Vortrag erklärt er den Unterschied zwischen selektiver und vollständiger Kariesentfernung und zeigt, wie ein korrektes, objektives Vorgehen funktionieren kann. Exkavieren bis die Sonde klirrt – das Video zeigt, dass diese Zeiten endgültig vorbei sind.
Prof. Dr. Kunzelmann über die selektive Kariestherapie auf der IDS 2019.
Remineralisierbares Dentin belassen
Aus der Prophylaxe ist bekannt, dass Karies nur entsteht, wenn die drei primären Faktoren der Kariesentstehung, Zahn, Mikroorganismen und Substrat, gleichzeitig vorliegen. Für die Kariestherapie kann man daraus ableiten, dass man entweder die Bakterien möglichst vollständig beseitigen oder die Bakterien durch eine dichte Adhäsivrestauration vom Substrat fernhalten kann.
In der Vergangenheit, als überwiegend Amalgamfüllungen gelegt wurden, wurde infiziertes, weiches Gewebe konsequent entfernt und dabei der therapeutische Endpunkt rein subjektiv festgelegt. Härte, Art der Dentinspäne, Oberflächenqualität und Farbe waren dabei die Kriterien – aber sind diese noch zeitgemäß?
Bereits 1998 hinterfragte die Zahnärztin Mertz-Fairhurst, inwieweit Karies besiegt werden kann, indem ein dichter Adhäsiv-Verschluss einfach das Substrat abhält. Es funktioniert! Prof. Kunzelmann betrachtet die Mertz-Fairhurst Studien als einen wichtigen Beweis, dass schonender als bisher exkaviert werden kann. Er empfiehlt zum Schutz der Pulpa, das kariöse Gewebe in Pulpanähe zu reduzieren – jedoch nicht bis zum Klirren der Sonde.
Für solch eine selektive Kariesentfernung müssen die Kavitätenränder in gesunder Zahnhartsubstanz liegen und eine adhäsive Füllung folgen. Dieses Vorgehen ist somit nicht bei Amalgamfüllungen oder Goldinlays geeignet. Selektives Exkavieren heißt also, dass wir nicht bis ins gesunde Dentin vordringen müssen. Immer wieder stellt er in seinem Vortrag die Pulpa in den Mittelpunkt: „Lassen Sie die Pulpa zu, nur so vermeiden wir Wurzelkanalbehandlungen.“
Wie selektiv exkavieren?
Mit einem herkömmlichen Rosenbohrer wird ein Zahnarzt rein erfahrungsbasiert, also immer subjektiv, exkavieren. Es gibt aber Methoden, die den therapeutischen Endpunkt reproduzierbar festlegen. Prof. Kunzelmann stellt diverse Methoden (Enzyme, Carisolv, PolyBur, FACE) im Video vor.
Ausführlich geht er im Fall von tiefen Läsionen und bisher symptomlosen Zähnen auf den PolyBur ein, den Polymer-Rosenbohrer mit spezifischer Härte. Er ist deshalb so sinnvoll, weil der Härtegradient infizierter Zähne vom gesunden ins kranke Dentin abnimmt. Demnach verrunden die Schneiden des PolyBur, wenn sie auf erhaltenswertes, im Prinzip sogar remineralisationsfähiges Dentin treffen. Das Video zeigt, dass mit dem PolyBur im Schnitt 0,74 mm Zahnhartsubstanz erhalten werden können. Wird dennoch die Pulpa eröffnet, war dies wohl unumgänglich.
Prof. Kunzelmann ist sich durchaus bewusst, dass es 20 bis 30 Jahre dauern wird, um den Paradigmenwechsel in die Praxen zu tragen. Der PolyBur beeinflusst die Akzeptanz der selektiven Kariestherapie aber durchaus positiv.
Schlussfolgerung
Kariesforscher diskutierten die selektive Kariestherapie seit über 40 Jahren, Zahnärzte übernehmen sie nun langsam. Ein Grund für das Zögern könnten die Einwände der Kollegen sein „Der weiß ja gar nicht, wie man richtig exkaviert.“ So könnte ein Kollege urteilen, der ein Röntgenbild eines PolyBur behandelten Zahnes betrachtet.
Das Zurücklassen demineralisierten Dentins hat zur Folge, dass Röntgenstrahlen weniger absorbiert werden. Die fertige Füllung kann auf dem Röntgenbild daher wie ein Kariesrezidiv aussehen. Positiv betrachtet ist dies ein Beleg dafür, dass der PolyBur funktioniert.
Die neuesten Empfehlungen der Fachgesellschaften geben außerdem eine zitierfähige Basis, auf die auch Gutachter heute zurückgreifen.
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