Famulaturbericht Himalaya, Ladakh, Temisgang Oktober 2017

Famulaturbericht Himalaya, Ladakh, Temisgang Oktober 2017
von Dr. Michael Menzel
Als Zahnarzt für Oralchirurgie erreichte mich 2015 von Seiten des Vereins Kinder des Himalaya die Anfrage, ob ich ein soziales Projekt im nördlichen Gebiet Indiens (Jammu & Kaschmir), im speziellen in Ladakh, zahnmedizinisch begleiten möchte. Nach einer sehr kurzen Bedenkzeit habe ich mich dafür entschieden und habe es zu keinem Zeitpunkt bereut.
Dadurch, dass ich in einer Gemeinschaftspraxis in Pirmasens arbeite, war meine Abwesenheit (Ausfallzeit, Kosten) gut zu organisieren. Im Jahr 1995 hatte ich schon einmal ein ähnliches Projekt in Brasilien in Cuiaba begleitet und war aus dieser Erfahrung heraus sehr positiv dieser neuen Herausforderung gegenüber eingestellt.
Aus der Erkenntnis heraus, dass die westliche Welt ihre Lebensgestaltung auf Freiheit und selbstbezogenes Denken reduziert, hat sich bei mir um so mehr die Überzeugung entwickelt, benachteiligte, aber deshalb nicht weniger wertvolle Gesellschaften wie unsere, im medizinischen und sozialen Fortschritt zu unterstützen.

Rechts Dr. Michael Menzel
Ich wünschte mir noch vielmehr interkulturellen Austausch, der uns befähigt, Menschen anderer Regionen zu verstehen. Über diesen Weg lernt man Defizite in anderen Ländern dieser Welt kennen und kann in Form von Hilfestellung eigene Errungenschaften zur Verbesserung der Lebenssituation dort anbieten. Für mich gelten die Begriffe Nächstenliebe, Inklusion, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Chancengleichheit im globalisierten Sinn. Wegen genau dieser globalen Schieflage spornt es mich besonders an, für eine ausgewogene Balance zwischen den sogenannten reichen und armen Ländern einzutreten.
Im Mai 2017 flogen Elke Stark und ich nach einer ca. 9-monatigen Vorbereitung nach Leh, der Hauptstadt Ladakhs, um in einem kleinen Ort Temisgang (2 Stunden Autofahrt entfernt von Leh) die Lotsava Lamdon School (Kindergarten bis 8.Klasse) zahnmedizinisch zu betreuen.

Lotsava Lamdon School
In dieser Vorbereitungsphase haben wir uns sehr genau die zeitliche Abfolge der einzelnen erforderlichen Maßnahmen (Abstimmung und Mitnahme von Gebrauchsmaterialien, Sponsoren ansprechen, Logistik der Materialbeschaffung, Abklärung von Transportbestimmungen, Aufstellung und zeitliche Festlegung des Impfplanes, Beachten der Visumbestimmungen) überlegt und nach einem vorbestimmten Zeitplan abgearbeitet.
Da wir nach einer langen Winterpause das erste Team im Jahr 2017 waren, bestand die Betreuung in erster Linie in einer Bestandsaufnahme der 130 Schüler. Wir führten die bereits bestehenden Untersuchungsprotokolle fort, erstellten ergänzend Formulare der Befundergebnisse von 5-, 12- und 15 jährigen nach den DMF - Empfehlungen der WHO. Darüber hinaus erstellten wir für jede(n) Schüler/in einen zum Zeitpunkt Juni 2017 gültigen Behandlungsplan. Diese Unterlagen sollten für die später kommenden Teams als Arbeitsgrundlage zur kontinuierlichen Fortsetzung der Arbeit an dieser Schule dienen.
Nach den ersten Untersuchungen (die Kinder bekamen jeweils einen Farbstift nach der Untersuchung), wurde uns klar, dass wir es mit Kindern mit einem ausgesprochen hohem Kariesrisiko zu tun haben. Woran das lag war die große Frage. Unsere Vorstellung der Zahngesundheit der Kinder in Ladakh war eher vom Gegenteil geprägt (durch eingeschränkte, regional orientierte Ernährung vermuteten wir eher Schmelzbildungsstörungen, Zahnfehlstellungen, Zahnfrakturen, aber keine Karies in diesem Umfang).

Untersuchung der Kinder in Ladakh
Was wir vorher nicht wußten, war die Tatsache, dass vor ca. 3 Jahren das Angebot und der Konsum von stark zuckerhaltigen Lebensmitteln/Süßigkeiten auch vor dieser entlegenen Region dieser Welt keinen Halt gemacht hat. Die beiden Läden im nachfolgenden Bild sind erst vor ca. 3 Jahren entstanden. Dort sind die Hälfte der Produkte Süßigkeiten, die natürlich auf Kinder eine ganz besondere Anziehungskraft ausüben.

Supermärkte
Der große Unterschied zwischen Ladakh und Deutschland ist, dass die Gesellschaft dort überhaupt nicht auf die negativen Wirkungen von Zucker auf die Zähne vorbereitet war und ist. Dadurch, dass es dort bislang keine Vermittlung von zahngesundem Ernährungsverhalten, weder im Familienverbund noch in den Schulen gibt, hat der Zuckerkonsum in der Region Ladakh katastrophale Folgen, vor allem bei den Kindern.

Negative Wirkungen von Zucker bei den Kindern
Da war es für uns eine besondere Überraschung, daß wir miterleben durften wie die Kinder nach dem Mittagessen, welches sie in der Schule eingenommen hatten, mit ihrer eigenen Zahnbürste sich danach selbständig von den kleinsten (ca. 3 Jahre alt) bis zu den 8-Klässlern die Zähne geputzt haben.
Zu unseren schönsten Erfahrungen gehörten die Offenheit, Freundlichkeit und der sehr hohe Grad an Disziplin, (speziell bei den Kindern), welches wir sowohl zu Beginn, als auch bei der Verabschiedung unseres Aufenthaltes erfahren durften.

Kinder der Schule beim Zähneputzen
Die besondere Herzlichkeit bei der Einführung und Vorstellung in der Schule hat uns tief berührt. Man spürte deutlich, dass es eine hohe Akzeptanz unserer Arbeit, sowie einen hohen Grad an Unterstützung von Seiten der örtlichen Regierungsbeauftragten und dem Lehrerkollegium gibt.
Leider hatten wir jeden Tag Stromausfall, was die Arbeit natürlich stark behindert, bzw. vorübergehend auch unmöglich machte. Die besondere Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen in Ladakh hat den Stromausfall jedoch schnell wieder vergessen gemacht. Was mich selbst besonders an diesen Menschen fasziniert hat, ist die Tatsache, daß der Sinn für zwischenmenschliche Umgangsformen einen hohen Stellenwert besitzt:
Frei übersetzt: Respektiere Ältere, liebe die Jungen, hilf den alten Menschen und erkenne die Unterschiede. Teile Wissen, um dazu zu lernen.

Hoher Stellenwert an zwischenmenschlichen Umgangsformen Vorort
Sie sind in der Lage sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel: Sie erkennen, dass das Stromnetz modernisiert werden muß und sie tun es mit ihren bescheidenen Mitteln. Sie wissen, dass die Wasserqualität verbessert und stabilisiert werden muß und sie tun es. Sie arbeiten an dem Ausbau des Strassennetzes und der Verbesserung des Stadtkerns von Leh.Bedingt durch die erschwerten klimatischen und geologischen Bedingungen ist die Geschwindigkeit des technischen Fortschrittes langsamer als bei uns und die Umsetzung dieser Vorsätze verzögert.
In Temisgang wohnten wir in einem kleinen, nach westlichen Standards gebauten Hotel, welches gerade seine Wohnkapazitäten erweiterte.

Obwohl das Vorherrschen des Erwerbsprinzips deutlich zu spüren ist, versuchen die Bewohner Ladakhs nicht unbedingt die gleichen Fehler (dass dieses Prinzip eine Übergangserscheinung ist, welches sich zwangsläufig selbst zerstört) zu übernehmen, die wir im Westen bereits durchmachen. Die größte Sorge eines Menschen dort ist, dass sie sich genauso in eine Ellenbogengesellschaft entwickeln, wie wir das getan haben.
Wir freuen uns, dass wir diese Erfahrungen machen und ausgesprochen liebenswürdige Menschen kennenlernen durften. In diesem Zusammenhang danken wir auch Frau Pichlbauer, Frau Moll-Knupfer, Frau Bolz und dem Verein "Kinder des Himalaya" im Allgemeinen für großartige Unterstützung und Organisation im Hintergrund. Gerne greifen wir Schwierigkeiten in der mobilen zahnmedizinischen Versorgung der dortigen Bevölkerung auf und würden in Absprache mit dem Verein "Kinder des Himalaya" neue Ideen vorbringen und umsetzen.
Abschließend bedanke ich mich ganz besonders auch bei meinen Sponsoren, die mich in diesem Projekt sehr tatkräftig unterstützt haben: Sie spendeten für Gebrauchsmaterialien ohne die eine solche Aufgabe nicht zu bewältigen wäre:
- Rotary-Club Pirmasens-Südwestpfalz
- Firma Komet
- Firma Henry Schein